Bachtins Bild der Sprache

Mittwoch, 20. Juli 2011 um 18:15 Uhr, Philosophisches Seminar, Hegelsaal

Dr. Carsten Dutt, Germanistisches Seminar Heidelberg

In kritischer Wendung gegen die Systemlinguistik Saussures und seiner Nachfolger einerseits, den individualistischen Monologismus romantischer Ausdruckstheorien andererseits hat Michail M. Bachtin (1895-1975) Sprache als historischen Prozess sozialer Redevielfalt beschrieben: „Die zentripetalen Kräfte des sprachlichen Lebens, die in der ‚Einheitssprache‘ verkörpert sind, wirken im Milieu der faktischen Redevielfalt. Die Sprache ist in jedem gegebenen Moment ihrer Genese nicht nur im genauen Sonn des Wortes (nach formal linguistischen Merkmalen, in der Hauptsache nach phonetischen) in linguistische Dialekte gespalten, sondern in sozioideologische Sprachen: Sprachen von sozialen Gruppen, ‚Berufssprachen‘, ‚Gattungssprachen‘, Sprachen der Generationen usw. […] Jede Äußerung ist an der ‚Einheitssprache‘ (den zentripetalen Kräften und Tendenzen) und gleichzeitig an der sozialen und historischen Redevielfalt (den zentrifugalen, differenzierenden Kräften) beteiligt.“ Zur Unterscheidung und Relationierung der Modi dieser Beteiligung hat Bachtin ein feinmaschiges Begriffsnetz entwickelt, dessen Zentrum das Konzept der Dialogizität bildet. Der in dieser oder jener Konkretion dialogische Kontakt sozialer Sprachen interessiert dabei jedoch nicht allein und – theoriearchitektonisch gesehen – auch nicht vorrangig als Phänomen alltagsüblicher Kommunikation, sondern als Darstellungs- und Wirkungspotential künstlerischen Sprachgebrauchs, der Romankunst näherhin.

Mein Vortrag wird sich demgemäß auf die von Bachtin ausgezeichneten Formen literarischer Modellierung und Dialogisierung sozialer Redevielfalt konzentrieren und den normativen Gehalt, die Idee – wenn man so will –, einer Romantheorie herauszuarbeiten versuchen, die in der reflexiven Distanzierung von Sprachen zum „Bild der Sprache“ die vornehmste Aufgabe eines literarisch produktiven Bewusstseins erkennt.